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Starke Frauen – Starke Stimmen

Perspektiven in Technik und Wissenschaft

"Durch die ernsthafte Beschäftigung mit Mathematik können wir auch etwas über uns selbst lernen."

Prof. Dr. Annika Meyer, geboren in Neuss und aufgewachsen in Erkelenz, ist Hochschullehrerin für Mathematik am Fachbereich Elektrotechnik & Informationstechnik der Fachhochschule Südwestfalen

Welche Faszination geht Ihrer Meinung nach von technischen bzw. wissenschaftlichen Berufen aus? Was hat Sie dazu inspiriert, ein Studium in diesem Bereich einzuschlagen, und welche Erfahrungen haben Sie auf diesem Weg gemacht?
Für viele ist Mathematik ein trockenes Fach – nicht so für Prof. Dr. Annika Meyer, die in der logischen Strenge und klaren Struktur der Mathematik eine besondere Faszination entdeckt hat: "Dass wir alle einen logischen Schluss im Prinzip anerkennen müssen, hat für mich etwas Vereinendes und auch Beruhigendes." Gleichzeitig betont sie, dass Mathematik keineswegs starr sei, sondern immer wieder überraschende Perspektiven eröffne: "Es gibt Ergebnisse, die erst einmal völlig paradox erscheinen und scheinbar alles auf den Kopf stellen. Das hat dann jedoch oft nicht in erster Linie mit den Ergebnissen an sich zu tun, sondern mit unserer Art zu denken. Daher können wir durch die ernsthafte Beschäftigung mit Mathematik auch etwas über uns selbst lernen."
Den Anstoß für ihr Mathematikstudium bekam sie früh durch ein prägendes Erlebnis: Ein Freund der Familie, Mathematikprofessor an der Universität Düsseldorf, schenkte ihr ein Buch mit mathematischen Beweisen. "Ich war damals sehr beeindruckt davon, wie durch exakte Definitionen und Gründlichkeit plötzlich Dinge greifbar wurden, die ich vorher nur schwammig und unvollständig verstanden hatte."
Sie berichtet von verschiedenen Erfahrungen, die sie auf ihrem Weg machen durfte. So sei die Mathematik nicht nur rein theoretischer Natur: "Die Beschäftigung mit Codierungstheorie in meiner Dissertation hat mir gezeigt, dass auch in der Mathematik wichtige Anstöße oft aus der Praxis kommen."
Und auch die Unsicherheit im rein akademischen Bereich in der Post-Doc-Phase prägte ihren Weg: "Dort arbeitete man damals in der Regel mit auf ein Jahr befristeten Verträgen. Das erzeugte für mich eine Ungewissheit, der ich mich nicht zu lange aussetzen wollte. Daher bin ich in die Berufspraxis zu Siemens gegangen und habe dort im Bereich Kryptographie gearbeitet, was ich heute an der Fachhochschule auch noch lehre."

Könnten Sie uns von einem besonders herausfordernden Projekt erzählen, an dem Sie gearbeitet haben, und wie Sie diese Herausforderung gemeistert haben?
Ihr beruflicher Werdegang ist von zahlreichen Herausforderungen geprägt – eine besonders prägende Phase war der Start ihrer Lehrtätigkeit an der Fachhochschule Südwestfalen. Mit nur drei Wochen Vorlauf zur ersten Vorlesung und einem gleichzeitigen Umzug nach Hagen musste sie eine neue Veranstaltung konzipieren und vorbereiten: "Ich habe die Materialien zum Teil erst wenige Tage oder sogar Stunden vor ihrem Einsatz in der Lehre erstellen können. Während des Semesters war ich dauerhaft in einem mir bisher unbekannten Maße gestresst und überarbeitet." Einen "Plan" zur Bewältigung habe es nicht gegeben – vielmehr sei es darum gegangen, durchzuhalten. "Da ein Semester ja eine begrenzte Dauer hat, war das im Rückblick zwar hart, aber in Ordnung."
Aktuell sieht sie die größte Herausforderung in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie: "Das ist natürlich noch viel tiefgreifender als ein Projekt." Dabei musste sie lernen, nicht alles perfekt machen zu wollen. "Ich musste sehr stark priorisieren und meine Ansprüche an ausgewählten Stellen deutlich herunterschrauben. So gelingt mir nicht alles hundertprozentig, aber das ist dann auch nicht der passende Maßstab."
Wichtig sei für sie heute, sich bewusst kleine Auszeiten zu nehmen – nicht nur im Urlaub, sondern täglich: "Ein gutes privates Gespräch, Klavier spielen, Sport oder ein besonderes Essen helfen mir, trotz des hohen Gesamtpensums weiter viel Freude an meiner Arbeit zu haben."

Wie sehen Sie die Rolle von Frauen in technischen bzw. wissenschaftlichen Berufen und welche Veränderungen haben Sie ggf. in den letzten Jahren beobachtet?
Zur Rolle von Frauen in MINT-Berufen äußert sich Prof. Dr. Meyer differenziert. Sie vermeidet es bewusst, bestimmte Eigenschaften geschlechtsspezifisch zuzuordnen: "Idealerweise bringt sich jede*r mit seinen persönlichen, sehr individuellen Fähigkeiten als eine Bereicherung ein." Dennoch beobachtet sie, dass Frauen in technischen Bereichen oft unterschätzt würden – nicht aus bösem Willen, sondern aus unbewussten Mustern heraus. "Das kann sich in gut gemeinten, aber nicht benötigten Hilfeangeboten äußern, beispielsweise durch Kollegen bei der Bewältigung ganz regulärer Arbeitsaufgaben." Problematisch werde es, wenn daraus reale Nachteile entstünden, etwa durch fehlende Berücksichtigung bei verantwortungsvollen Aufgaben. "Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber, was für mich persönlich der beste Umgang damit ist – aber es kann nicht falsch sein, sich seines Werts bewusst zu bleiben."

Welche Fähigkeiten oder Eigenschaften halten Sie für besonders wichtig, um in technischen bzw. wissenschaftlichen Berufen erfolgreich zu sein, und wie haben Sie diese entwickelt?
Für den Erfolg im Mathematikstudium seien besonders Hartnäckigkeit und Frustrationstoleranz entscheidend: "Schwierigkeiten beim Verständnis sind keine Ausnahme, sondern ein Zeichen dafür, dass man gerade etwas lernt." Wichtig sei, sich weiterzuentwickeln und auch Misserfolge auszuhalten. "Man braucht einfach einen langen Atem, gleichzeitig sollte man aber schon im Blick haben, ob der gewählte Weg im Großen und Ganzen zu einem passt."
Zugleich habe sie gelernt, dass es oft sinnvoll sei, Projekte kleinschrittig zu beginnen: "Manchmal muss man auch zur Umsetzung größerer Vorhaben einfach mal klein anfangen – nicht unbedingt schon die fertige Lösung vor Augen haben, sondern niederschwellig und mit geringem Risiko beginnen, um ein Gefühl für die Dinge zu entwickeln und sich dann nach und nach mehr zu trauen."
Ein weiterer zentraler Aspekt ihrer beruflichen Entwicklung ist der Austausch: "Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, auch mal über den Tellerrand zu schauen – sich zum Beispiel dafür zu interessieren, wie Kolleg*innen unterrichten oder sich fachlich mit anderen Gebieten auseinanderzusetzen. Daraus habe ich schon oft wertvolle Impulse für meinen eigenen Bereich erhalten."

Was würden Sie jungen Frauen raten, die eine Karriere in der Technik bzw. Wissenschaft anstreben, und welche Möglichkeiten sehen Sie für sie in der Zukunft?
Was würde sie jungen Frauen raten, die über ein Studium oder eine Karriere in der Mathematik oder Technik nachdenken? "Die anderen kochen auch nur mit Wasser. Das würde ich meinem jüngeren Ich gerne sagen." Vieles sei kein Hexenwerk, sondern durch kontinuierliche Arbeit zu bewältigen. "Insofern würde ich dazu raten, keine falsche Scheu zu haben und sich selbst gerade im mathematischen oder technischen Bereich ruhig etwas zuzutrauen." Und noch ein persönlicher Hinweis: "Die Jahre gehen dann doch recht schnell vorbei, daher würde ich, abseits vom Fachlichen, auch dazu raten, die Zeit zu schätzen und zu genießen – nicht nur zu besonderen Gelegenheiten, sondern jeden Tag."